Mütter zwischen Liebe und Reue

Als die israelische Soziologin Orna Donath im April 2015 ihre Studie zur bereuten Mutterschaft veröffentlichte, traf sie offensichtlich einen gesellschaftlichen Nerv. Insbesondere in Deutschland führten ihre Ergebnisse zu einer intensiven und langanhaltenden Debatte. Unter dem Hashtag #regrettingmotherhood meldeten sich in den sozialen Medien zahlreiche Frauen zu Wort, die durch die Diskussion eine Möglichkeit sahen, über ihre ambivalenten Gefühle in Bezug auf die Mutterschaft zu sprechen.

Die Soziologin beschreibt ihre Motivation für diese Studie mit dem Glauben, „dass Wahlmöglichkeiten notwendig sind, um sicherzustellen, dass mehr Frauen in die Lage versetzt werden, selbst über ihren Körper und ihr Leben zu bestimmen und ihre Entscheidungen selbst zu treffen“. Sie stellt somit eine Gesellschaft in Frage, die Frauen dazu drängt, Mütter zu werden. „Seid frei und werdet keine Mutter, denn ihr könntet es bereuen“, ist demnach die subtile Botschaft hinter Donaths Studie. Sie selbst lehnt die Mutterschaft für sich ab.

Als ich begann, mich mit ihrer Studie näher zu befassen, war die Debatte in Deutschland längst abgeflacht. Ihren Höhepunkt nahm ich nur am Rande zur Kenntnis, da ich zu diesem Zeitpunkt selbst gerade dabei war, mich in der neuen Rolle als Mutter zurechtzufinden. Meine älteste Tochter war gerade ein halbes Jahr alt, als die Studie zur bereuten Mutterschaft veröffentlicht wurde. Jetzt, da ich mich mit der Arbeit von Frau Donath beschäftige, tue ich dies aus einer ganz anderen Perspektive. Nämlich aus der Sicht einer Soziologin, die Mutter werden wollte. Damit verbunden ist auch eine andere Sicht auf die Frau, die ihre biologische Ausstattung nicht als Makel definiert, sondern als besondere Eigenschaft. Mutterschaft sollte aus dieser Perspektive nicht im Widerspruch zur Selbstbestimmung der Frau stehen.

Dies bedeutet nicht, dass nicht jede Frau grundsätzlich selbst entscheiden sollte, ob sie Mutter werden möchte oder nicht. Eine freie Entscheidung können wir als Frauen aber nur treffen, wenn weder kulturelle noch strukturelle Zwänge dafür sorgen, dass wir uns für oder gegen Mutterschaft entscheiden.

Aus dieser Perspektive hätte die Studie von Orna Donath und die darauffolgende Debatte weit mehr leisten können, als nur ein Tabu zu brechen. Gefühle von Reue und Ambivalenz bei Frauen, die Mütter geworden sind, können ein deutlicher Indikator dafür sein, dass etwas nicht stimmt. Dabei spreche ich nicht von den Frauen, die diese Gefühle haben, denn das würde tatsächlich die Gesellschaft „vom Haken lassen“, wie es Donath selbst sagt. Allerdings meint sie damit die „Überredung“ der Gesellschaft, Mutter zu werden. Doch warum braucht es überhaupt diese Überredung? Frau Donath stellt eine Gesellschaft kritisch in Frage, die Frauen in eine ungewollte Mutterschaft drängt. Ergänzend muss jedoch die Frage erlaubt sein, warum Mutterschaft für viele Frauen unattraktiv oder schlicht unvereinbar ist.

Was in Donaths Studie unklar bleibt und leider auch die Debatte in Deutschland nicht klären konnte, ist das „Was“ und „Warum“. Was genau bereuen die befragten Mütter an ihrer Mutterschaft? Jedenfalls nicht ihre Kinder, was vielfach deutlich wird. Und warum bereuen sie? Klar, weil sie rückblickend oder auch während der Schwangerschaft merkten, dass Mutterschaft nichts für sie ist. Aber woraus resultiert die Ablehnung der Mutterschaft? Und was noch viel wichtiger ist: Wäre die Reue unter anderen Bedingungen vermeidbar gewesen?

Mein Ziel ist es nicht, die Leistung der wissenschaftlichen Studie von Frau Donath zu schmälern, denn sie hat mit ihrer Arbeit etwas aufgedeckt, das zuvor nicht gewagt wurde öffentlich zu sagen: Die Tatsache, dass Mutterschaft nicht automatisch glücklich macht und sogar bereut werden kann. Sie zog daraus allerdings m.E. die falschen Schlüsse. Wollen wir in der Debatte um Gleichberechtigung weiterkommen, müssen wir die Reue der Mütter ernst nehmen. Sie zeigt uns deutlich, dass viele Mütter in unserer Gesellschaft Not leiden. Gleichzeitig sollte die bereute Mutterschaft uns dazu ermutigen, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu hinterfragen. Wenn wir hingegen die Reue zum Anlass nehmen, die Mutterschaft an sich in Frage zu stellen und nicht die Gesellschaft, in der sie existiert, ist das aus meiner Sicht eine Einbahnstraße.

Mir geht es nicht darum, Mutterschaft zu idealisieren oder um das richtige Konzept von Mutterschaft zu streiten. Denn das würde am eigentlichen Problem der Mütter in unserer Gesellschaft vorbeigehen. Frauen, die sich heute im Spannungsfeld zwischen „Rabenmutter“ und „perfekter Mutter“ befinden, bewegen sich zwischen widersprüchlichen, einander unvereinbaren gesellschaftlichen Ansprüchen. Dabei muss „Mutterglück“ von „Mutterliebe“ unterschieden werden, denn Liebe bedeutet nicht automatisch Glück. Oft ist mit Liebe Leid, Aufopferung und Verzweiflung verbunden. Sie ist das Gefühl tiefer Verbundenheit zwischen zwei Menschen und somit die Qualität ihrer Beziehung zueinander. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist eine ganz besondere Sozialbeziehung. Barbara Schweder, Anthropologin und Buchautorin, sagt dazu: „Die Liebe der Mutter ist die Basis jeder späteren Liebeserfahrung, die Grundlage, auf der alle sozialen Eigenschaften aufbauen, der Grundstein der Paarbeziehung, der Familie und der Gesellschaft.“

Daraus resultiert das enorme Verantwortungsgefühl, das Mütter für das Wohl ihrer Kinder bis ins Erwachsenenalter tragen. Die Vorstellung, dass die Mutter die alleinige Verantwortung für eine gute Entwicklung des Kindes trägt, kann jedoch schnell zur Belastung werden und in Erschöpfung enden. Bedenkt man, dass das Aufziehen von Menschenkindern zu den wohl zeitintensivsten Aufgaben im gesamten Tierreich gehört, wird so manche Überforderung einer allein gelassenen Mutter sehr viel verständlicher. Neben der Dauererschöpfung stehen Frauen, die sich für Mutterschaft entschieden haben, aber noch vor einem weiteren Problem: Die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Sorgearbeit. Die hat nämlich gravierende ökonomische Folgen für Mütter.

Nicht zuletzt dürfen wir nicht vergessen, dass der ökonomische Druck, der auf jeder Mutter lastet, das Ergebnis einer Familienpolitik ist, die weniger den Bedürfnissen der Familie dient, als vielmehr ihrer Konformität an den Markt. Die „Bedürfnisse“ des Marktes stehen denen der Familie allerdings diametral entgegen, woraus die Schwierigkeit der Vereinbarkeit entsteht. Ein wahrer feministischer Gedanke wäre es deshalb, die Regeln des Marktes an die Bedürfnisse der Mütter bzw. ihrer Familien anzupassen – und nicht umgekehrt. Gut möglich, dass damit auch viele unserer anderen gesellschaftlichen Probleme gelöst werden könnten.

Hinweis:

Dieser Text wurde 2019 auf www.mamaundgesellschaft.de erstveröffentlicht

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